Textatelier
BLOG vom: 24.09.2006

Hin und Her: Gespräche zwischen dem „Ich und Du“

Autor: Emil Baschnonga
 
Ich habe bewusst mein Ich vorangestellt, entgegen der gepflogenen Höflichkeit, dir – mein altes Ego – den Vortritt zu lassen.
 
Manchmal glaube ich, dass du mit mir seelenverwandt bist; manchmal stelle ich fest, dass wir zwei grundverschieden denken und handeln.
 
In unserer Zwiesprache hisse ich gern die Vergangenheit in die Gegenwart – und du versenkst das Vergegenwärtigte wieder ins Vergangene. Und wenn ich es umgekehrt halte, reibst du mir die Gegenwart unter die Nase. „Immer wieder foppst du mich mit solchem Zwiespalt“, das sage ich dir ins Gesicht. Das geht so weit, dass ich bald nicht mehr weiss, was gewesen ist und was jetzt ist – und das grosse Vergessen dazwischen.
*
Versonnen und in mich eingekapselt wie im Schneckengehäuse gehe ich durch Strassen, vorbei an mir wohl bekannten Häusern und beachte die an mir vorübergehenden Menschen kaum.
 
Schlagartig reisst du mich aus meinen Gedanken und deutest auf ein anmutvolles Geschöpf, gertenschlank mit langem schwarzem Prachtshaar, das, munter mit ihrer Freundin plaudernd, auf mich zukommt. Älter als 17 konnte sie nicht sein und schöner auch nicht. Eine Südländerin, eine Florentinerin – das Sinnbild der Unschuld?
 
„Sie ist eben an dir vorbeigegangen – vorbei, vergangen“, höre ich dich sagen, „unwiderruflich.“ Ich drehe mich nach ihr um. „Sei vernünftig“, ermahnst du mich und ziehst mich mit dir fort. Die Franzosen nennen ein solches inneres Hin und Her „faits divers“. Heute noch würde ich gleich empfinden, wie damals auf meinem Gang durch die Stadt.
*
„Der Garten der Lüste“ wird das Tryptychon von Hieronymus Bosch genannt und ist voller verschlüsselter Symbolik. „Warum holst du das Buch ,Hieronymus Bosch’ von Ludwig Baldass aus meiner Bibliothek und legst es vor mir auf den Tisch?“ „Damit du dir vergegenwärtigst, als du dich ein gutes Jahr, 1959 in Zürich, mit dieser Symbolik abgequält hast. Umsonst. Deine misslungenen Versuche, Hieronymus Bosch beizukommen, liegen in einer Aktenschachtel im Schuppen. Du hast sogar die Zürcher Moschee aufgesucht, um eines der vielen Symbole zu enträtseln.“
 
„Davon will ich nichts wissen“, antworte ich barsch, „auch das Non-Finito wird schliesslich zum „Finito“ – basta così.“
 
„Hast du vergessen, dass du dort Walter Oscar Grob begegnet bist?“ lässt du mich nicht in Ruhe.
 
Daran erinnere ich mich gut. Auch er hatte sich in Hieronymus Bosch vertieft und vertrat die Meinung, dass seine Bilder von seinen damaligen Zeitgenossen weitaus besser verstanden wurden als von uns heute. Eine Morallehre zwischen Gut und Böse? Mag sein. Aber ich wäre enttäuscht, wenn nicht mehr in seinen Bilder verborgen läge.
 
„Nein, du wirst mich nicht dabei erwischen, dass ich dieses Thema wiederum beackere.“
 
Ich habe Walter Grob viele Male getroffen. Er begründete die Freie Kunstschule in Zürich und erklärte mir die Grundzüge seiner Farbenlehre. Aber unsere Kontakte versandeten mit meinem Ortswechsel nach London. Immer wieder schickte er mir Einladungen zu seinen Ausstellungen. Aber ich war anderweitig, beruflich, engagiert.
 
Jetzt möchte ich wissen, wie es ihm geht und ein Birchermüesli mit ihm teilen. (Er hatte damals beinahe ausschliesslich von diesen Müeslis gelebt.) Mit diesem Wunsch bin ich wieder mitten in der Gegenwart gelandet, ohne mir Hieronymus Bosch aufhalsen zu müssen. Erfolgreich habe ich diesmal mein altes Ego lahmgelegt.
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Wenn ich mich richtig erinnere, hat Max Frisch immer wieder am Gedanken des Alterns gekaut: die Durststrecke durchs mittlere Alter und darüber hinweg. Das hat mich damals nicht angefochten. „Und heute?“ stellst du mir diese Frage wie eine Falle. „Diese Frage ist für mich belanglos – der Mensch altert nicht, er entfaltet sich“, entgegne ich. „Aber warum hast du in deinem Studierzimmer einen Farbholzschnitt an der Wand, der einen tristen Mann neben der Schriftrolle zeigt, beginnend mit dem Text: „Die Klage um die Spuren des Frühlings?“ Hartherzig zitierst du daraus die Stelle: „Die Seele ängstigt mir der fallende Tropfen der Uhr …“
 
Zum Glück kommt mir Joseph in den Sinn, der einmal sagte: „Stell dir vor, was wir denken, wenn wir am krummen Stock gehen – der fortzu Knospen ansetzt und neue Zweiglein treibt.“ Jetzt habe ich dir jetzt den Mund gestopft, „gell".
 
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29.01.2006: „Wie die grosse Liebe vom Rad fiel – oder in die Hand …
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